David J. Engelsma
“Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und stürzest sie zu Boden. Wie werden so plötzlich zunichte! Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken” (Psa. 73:18-19).
Eine Kenntnis vom Ende der Bösen—sie werden plötzlich zunichte, sie gehen unter, sie nehmen ein Ende mit Schrecken—befreite den Psalmisten von der Versuchung, den Wohlstand des irdischen Lebens der Bösen zu beneiden. Denn genau dieser Wohlstand führt zu ihrem Ende. Das Ende der wohlhabenden Bösen ist nicht lediglich das Aufhören ihres irdischen Lebens. Weder noch ist ihr Ende ein ewiges jämmerliches Schicksal. Eher ist es das Ziel, zu welchem ihr wohlhabendes Leben sie bringt. Das wohlhabende Leben der zur Verdammnis vorherbestimmten Bösen endet unvermeidbar mit der ewigen Vernichtung, wie eine vergnügungsvolle angenehme Bootsfahrt dem Niagarafluss entlang mit einem schrecklichen Tod im Wasserfall endet.
Aus diesem Grund ist es ein Irrtum, ist es töricht, das wohlhabende Leben der Bösen ungeachtet des Endes von diesem Leben zu beurteilen. Diese war die Torheit des Psalmisten, aufgrund deren er gemäss Versen 21-22 bussfertig war. Diese ist auch die Torheit aller Vertreter der allgemeinen Gnade, wegen der sie sich aber weigern, bussfertig zu werden. Sie betrachten den Weg—das wohlhabende Leben der Bösen—ohne Rücksicht auf das Ende des Weges—die Vernichtung.
Wenn es nicht der Fall wäre, dass ihr Wohlstand der Weg zu ihrem furchtbaren Ende ist, würden wir wohl die Bösen beneiden. Wir mögen wohl ihr wohlhabendes Leben beneiden. Der Psalmist möge vermuten, dass, obwohl Gott die Bösen in der Ewigkeit verfluchen wird, er sie im Diesseits segnet. Ebenso obwohl Gott den Psalmisten in der Ewigkeit segnen wird, segnet er ihn nicht im Diesseits. Dieser war der Zweifel des Psalmisten, wie sie die grosse Streitfrage in Psalm 73 ist. Gott ist zu Israel im Diesseits in Bezug auf die Umstände des irdischen Lebens gut.
Verdammender Wohlstand
Der Wohlstand der Bösen—dass sie im Leben keine Kummer haben, dass sie mehr als ihres Herzens Wunsch haben, dass sie in der Welt gedeihen, dass sie immer reicher werden—ist zu ihnen “schlüpfriger Grund,” durch den sie rasch und zwangsläufig in die ewige Verdammnis hinuntergehen. “Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und stürzest sie zu Boden” (v. 18). Im Heiligtum sah der Psalmist den Wohlstand der Bösen auf eine völlig verschiedene Weise, wie er ihn vorher gesehen hatte. Vorher sah er ihn als ein beneidenswerter Segen. Im Heiligtum sah er ihn als “schlüpfrigen Grund” und als Vernichtung.
Die Natur von Behagen, Bequemlichkeit, Vergnügen und Reichtum ist sogar den geistlichen Sinn der Gottesfürchtigen in Bezug auf die Wahrheit Gottes, auf den himmlischen Reichtum, und auf das kommende Urteil zu betäuben. Um so mehr verblindet und verstockt der Wohlstand diejenigen, die geistlich verstorben sind. Wenn es überhaupt eine Hoffnung für die Bösen geben würde, wäre es, dass irdisches Elend—die Armut, die Krankheit, die Familienprobleme—sie zu den Wirklichkeiten eines gerechten Gottes, seines kommenden Urteils, der Kürze dieses Lebens und der kommenden Ewigkeit erwecken würde. Der Wohlstand macht diejenigen, die am Anfang töricht waren, betrunken. Sie sind von einem vergnügungsvollen irdischen Leben ohne Gott berauscht. Dieses Gleichnis verwendet Augustin in seiner verdammenden Beurteilung des Wohlstandes der Bösen.
Eine grössere Katastrophe als die Glücklichkeit und der Wohlstand der Gottlosen gibt es nicht. Sie ist ein starker Wein, der sie in ihrer Ungerechtigkeit betrunken macht und dadurch ziehen sie sich einer ungeheuerlichen Menge und einem schweren Last des Zorns Gottes zu.1
Vergleichen Sie mal diese Beurteilung des Wohlstandes der Bösen mit der derzeit herrschenden Ansicht, die diesen Wohlstand als einen Segen betrachtet!
Indem man versteht, dass der Wohlstand der Bösen “schlüpfriger Grund” zu dem Ende der Vernichtung ist, wurde der Psalmist von seinem Neid wegen des Wohlstandes der Bösen bekehrt. Wer würde als einen Segen jemandes blitzschnelles Rutschen in die Hölle beneiden?
Das Rutschen der Bösen in die Vernichtung durch ihren Wohlstand ist das Werk Gottes. Gott gibt den zur Verdammnis vorherbestimmten Gottlosen den Wohlstand mit dem Zweck, dass ihr Wohlstand sie ewiglich ruiniert. Durch ihren Wohlstand verstockt Gott die Bösen in ihrer sorglosen überheblichen Gottlosigkeit, so dass sie verloren werden. Dies lehrt Vers 18 deutlich: “Du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und du stürzest sie zu Boden.” Dieses Bekenntnis, dass Gott souverän die Bösen in und durch ihren irdischen Wohlstand vernichtet, wird mit dem emphatischen Wort “Ja” (oder “wahrlich’) eingeleitet. In Bezug auf den vernichtenden Zweck und auf das vernichtende Werk Gottes mit und durch den Wohlstand der Bösen gibt es keinen Zweifel.
Das Bekenntnis der Souveränität Gottes in der Vernichtung der Bösen mitels ihres Wohlstandes, was in Vers 18 gelehrt wird, ist für viele Exegeten zu stark. Sogar spricht der Presbyterianer Joseph Addison Alexander lieber davon, dass Gott es den Gottlosen erlaubt, in die Vernichtung zu stürzen. Dies ermächtigt ihn trotz der gegenteiligen Lehre des Psalms darauf zu bestehen, dass der Wohlstand der Bösen zu ihnen eine Gnade Gottes ist. “[In Psalm 73 sieht der Psalmist, wie] Gott durch die Gunst seiner Vorsehung sie [die Bösen] in diese erwünschte aber schreckliche Situation stellt, und dann es ihnen erlaubt, in die Vernichtung zu fallen.”2
Ebenso spricht Dr. Martyn Lloyd-Jones rasch von dem “erlaubenden Willen” Gottes: “Wir müssen immer an den erlaubenden Willen Gottes erinnern.” Durch seinen schwafelnden Kommentar über Vers 18 besteht Lloyd-Jones darauf, dass Gott lediglich ein Teil seiner Macht zurückziehet, welche die Bösen eingeschränkt hatte, und ihnen erlaubt, ihren eigenen Weg zu gehen. “Gott hat seine einschränkende Macht zurückgezogen. Er hat es der Sünde erlaubt, sich zu entwickeln und sich zu offenbaren, wie sie wirklich ist.”3
Jedoch lehnt die Sprache des inspirierten Textes ab, dass die Doktrin irgendwie und auf alle solche Weise geschwächt wird. Gott stellt die Bösen auf schlüpfrigen Grund, offensichtlich mit dem Zweck, dass sie rutschen—in die Vernichtung rutschen. Das zweite Teil von Vers 18 verwendet, was in der hebräischen Grammatik als das Hiphil des Verbs “fallen” (die Verbform wird richtig als “stürzest” übersetzt) bekannt wird. Das Hiphil hebräischer Verben drückt oft die Souveränität Gottes aus. Es lehrt, dass Gott dieses oder jenes Ereignis verursacht. Der Fall ist mit dem zweiten Teil von Vers 18 so. Eine wörtliche Ubersetzung wäre: “Du verursachtest, dass sie in die Vernichtung hineinfielen.”
Ihr Wohlstand ist de Weise, auf welche Gott die wohlhabenden Bösen vernichtet. Es ist nicht lediglich der Fall, obwohl dies schlecht genug wäre, dass ihr Wohlstand tatsächlich zu ihrer Verdammnis beiträgt, weil sie ihn missbrauchen und nicht dankbar dafür sind. Dies ist tatsächlich wahr, aber dies lehrt Vers 18 nicht. Der Text lehrt, dass Gott den Bösen den Wohlstand gibt, um ihre Vernichtung herbeizuführen, zu schaffen und zu vergewissern. Der gegenwärtige irdische Wohlstand der Bösen ist in sich selbst die Vernichtung von Gott, insofern er sie in die endgültige Vernichtung beschleunigt.
Der Gedanke von Vers 18 ist dieser: O Gott, dessen Güte ich damals bezweifelte, weil ich töricht vermutete, dass der Wohlstand der Bösen dein Segen zu ihnen ist, jetzt verstehe ich, dass mit diesem Wohlstand und durch diesen Wohlstand du die Bösen auf schlüpfrigen Grund stellst, damit sie glatt schnell und zweifellos in die Vernichtung hineinrutschen.
Impliziert ist Gottes souveräne Vorbestimmung dieser Bösen zur Verdammnis in seinem ewigen Prädestinationsdekret. Im demselben Dekret, in dem er Israel zum Heil im Wege ihres Herzensreinigens und ihres Händewaschens auserwählt hat, bestimmte er diesen bösen Personen zur Verdammnis im Wege des schlüpfrigen Grundes des Wohlstandes vor. Wenn in der Geschichte Gott Männer und Frauen auf schlüpfrigen Grund stellt, damit sie in die ewige Verdammnis hineinrutschen, tut er dies gemäss seines ewigen Ratschlusses und seiner Absicht, dass sie nicht in Jesus Christus errettet werden, sondern aufgrund ihrer Gottlosigkeit verloren werden.
Nicht beneidenswerter Wohlstand
Wer wird jetzt den Wohlstand der Bösen beneiden? Den Bauernhof, auf den die Sonne immer scheint und der Regen immer zu gegebener Zeit fällt? Die Popularität des hübschen Filmsternchens? Den Ruhm des begabten Athlets? Der Reichtum des Industriemagnats? Das gemütliche Leben des direkten Nachbarn, der ohne Sorgen in der Welt wohnt?
Wer wird vermuten, dass dieser Wohlstand ein Segen, ein gnädige Gabe Gottes den Gottlosen in seiner Liebe ist?
Wer wird jetzt vermuten, dass in Bezug auf die Umstände des irdischen Lebens, es besser ist, ungerecht als heilig zu sein?
Angesichts der Wahrheit bezüglich des Wohlstandes der Bösen, werden wir nicht als Christen unser eigenes irdisches Leben von Kummern anders wie vorher beurteilen, als wir den Wohlstand der Bösen beneidete? Werden wir nicht jetzt unser geplagte und gezüchtigte Leben als das betrachten, was uns zu unserem Ende in der Herrlichkeit führt? Werden wir nicht unser Kummer als Segnungen aus der unerschöpflichen Güte Gottes zu uns betrachten?
Eine Frage bleibt noch in Bezug auf das wohlhabende irdische Leben der Bösen angesichts des Endes von diesem Leben: Was ist die Einstellung oder die Haltung Gottes gegenüber dem wohlhabenden irdischen Leben der Gottlosen? Ist er genauso davon beeindruckt, wie es die Gottlosen selbst sind? Ist er genauso davon beeindruckt, wie es die Theologen sind, die auf die Gnade Gottes dieses wohlhabende Leben zurückführen? Ist Gott den wohlhabenden Gottlosen günstlich gesinnt?
Der Psalmist beantwortet diese Frage in Vers 20.
1 In Jean Taffin, Die Kennzeichen der Kinder Gottes, übersetzt von Peter Y. De Jong, Redakteur, James A. De Jong (Grand Rapids, MI: Baker Akademisch, 2003), p. 127 zitiert.
2 Joseph Addison Alexander, Die Psalmen übersetzt und erläutert (Grand Rapids, MI: Baker, 1975), p. 309.
3D. Martyn Lloyd-Jones, Der Glaube auf die Probe (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 165), p. 55.
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