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Die falsche Lehre des Prämillenialismus / The Premillennial Error

 

von Rev. Dale Kuiper

 

Welche Ereignisse jemand bei der Wiederkunft Jesu Christi in Herrlichkeit erwartet, hängt maßgeblich davon ab, wie derjenige den Begriff der „tausend Jahre“ (vgl. Offenbarung 20,1-7) versteht. Wie bereits im vorangegangenen Artikel ausgeführt wurde, gibt es drei mögliche Auslegungen hierfür: Post-, Prä- und Amillenialismus. Wir haben gesehen, dass der Postmillenialismus eine optimistische Sichtweise ist, nach der Christus nach den „tausend Jahren“ (eine lange Zeitspanne, die nicht zwingend genau tausend Jahre lang sein muss) wiederkommt und eine Welt vorfindet, die im Wesentlichen gläubig ist und wo nur noch letzte Reste der Sünde verbleiben. Es wird eine herrliche Zeit der Gerechtigkeit und des Friedens sein. Der Großteil der Menschheit wird gerettet und kein Krieg wird mehr auf dem Angesicht der Erde zu finden sein. Wie bereits gezeigt wurde, kann so eine Vorstellung mit zahlreichen Stellen der Heiligen Schrift nicht in Übereinstimmung gebracht werden und muss daher verworfen werden.

Was den Prämillenialismus angeht, so ist der erstaunliche Mangel an Übereinstimmung unter den Vertretern dieser Lehre selbst ein erster Hinweis darauf, dass diese Lehre nicht dem Wort Gottes entsprechen kann. Wenn diese Sicht der Endzeit tatsächlich schriftgemäß wäre, dann sollte doch bezüglich der Hauptpunkte dieser Lehre Übereinstimmung herrschen, auch wenn vielleicht ein paar untergeordnete Einzelaspekte unterschiedlich gesehen werden. Doch das ist nicht der Fall. Die Definition, die wir hier verwenden wollen, kann daher nicht alle prämillenialistischen Sichtweisen abdecken, ist aber allgemein genug um die meisten dieser Sichtweisen zu erfassen. Danach lehrt der historische Prämillenialismus, dass auf das zweite Kommen Christi eine Zeit des Friedens – genau eintausend Jahre lang – folgt. In dieser Zeitspanne wird Christus auf dieser Erde als einem irdischen Königreich herrschen, danach kommt das Ende. Eine radikalere Variante dieser Lehre ist der Dispensationalismus. Hier wird die Geschichte der Menschheit in sieben voneinander getrennte Zeiträume – oder Dispensationen/Haushaltungen – aufgeteilt. Gottes Handeln mit der Menschheit wird danach in jedem dieser Zeiträume von einem anderen Prinzip geleitet: Unschuld, Gewissen, Menschliche Regierung, Versprechen, Gesetz, Gnade, Königreich. Auch besteht diese Lehre darauf, dass die Gemeinde vor der Trübsal (vgl. Matthäus 24,29) von der Erde weggenommen wird. Diese Ansicht, die John N. Darby etwa 1830 in England etablierte und die hierzulande durch die Scofield-Bibel weite Verbreitung fand, ist ein einzigartiges Phänomen, das als „Amerikanischer Prämillenialismus“ bezeichnet wird. Diese Lehre entstammt nicht in der Bibel, sondern der Scofield-Bibel. Das darf man nicht verwechseln. Die Bibel ist das unfehlbare Wort Gottes, die Scofield-Bibel ist ein in die Irre führender Kommentar, bei dem „erklärende Hinweise“ und der Bibeltext selbst auf der gleichen Seite stehen. Der Prämillenialismus wurde niemals in eines der Bekenntnisse aufgenommen, sondern stellt die ganz persönliche Auslegung von einzelnen Angehörigen zahlreicher verschiedener Denominationen dar. Er wurde nie von irgendwelchen außergewöhnlichen Theologen oder in Seminaren gelehrt, in denen Wert auf Gelehrsamkeit und richtige Auslegung gelegt wurde. Vielmehr war er die Sichtweise von diversen Pfingst- und Heiligungsbewegungen sowie Bibelinstituten. Heute scheint sich dies allerdings etwas zu ändern. Der Prämillenialismus scheint allmählich auch in reformierten Kreisen Einzug zu halten. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und dem Volk Gottes einige biblische Richtlinien für eine Beurteilung zu geben, wollen wir diese falsche Sichtweise kurz untersuchen.

Zum besseren Verständnis sollen die Hauptbestandteile dieser Lehre im Folgenden nochmals klar dargestellt werden:

  1. Die Juden sind das Volk, das Gott ursprünglich als sein Volk vorgesehen hat. Sie sind das Volk Seines Reiches. Zu ihnen sprach Gott im gesamten Alten Testament und ihnen verhieß er auch den Messias.

  2. Als Christus kam, wurde Er von der Mehrheit der Juden nicht als solcher erkannt und die Mehrheit glaubte auch nicht an Ihn. Dass dies so passieren könnte wurde von den Propheten nicht vorhergesehen, auch entsprach dies nicht dem ursprünglichen Plan Gottes. Da Israel, die zwölf Stämme, Christus jedoch abgelehnten, griff Er als Ersatz auf die Heiden zurück, aus denen – im Gegensatz zum Reich – die Gemeinde besteht. Die Gemeinde stellt damit einen Einschub in der Geschichte dar. Sie begann mit dem Kreuz und wird dann enden, wenn die „tausend Jahre“ anfangen. Das bedeutet auch, dass die Heilige Schrift für zwei verschiedene Empfänger geschrieben wurde: Ein Teil ist für die Juden, und zwar das gesamte Alte Testament, der Großteil der Evangelien (insbesondere die Bergpredigt) und Teile der Offenbarung. Die neutestamentlichen Briefe und andere Teile der Offenbarung richten sich dagegen an die Gemeinde.

  3. Ganz plötzlich, ohne jedwede Vorwarnung oder Anzeichen wird die Entrückung stattfinden (vgl. 1. Thessalonicher 4,13-17; Matthäus 24,40-41; 25,13). Mit „Entrückung“ meint man das plötzliche und verborgene Kommen Christi um die Leiber der auferstandenen toten und der lebenden Gläubigen zu sich in die Luft zu nehmen. Die Gottlosen verbleiben in ihren Gräbern. Dies ist Christi Kommen für die an Ihn Gläubigen und ist als erste Auferstehung bekannt.

  4. Nun folgt eine Zeitspanne von sieben Jahren, genannt „Drangsalszeit“ oder auch „Große Trübsal“ (die siebte Woche aus Daniel 9,24-27). In diesem Zeitraum geschieht all das, was in Offenbarung 4,9 und Matthäus 24 beschrieben wird. Die Gemeinde muss die Drangsalszeit jedoch nicht erleiden, sondern befindet sich mit ihrem HERRN in der Luft.

  5. Nun kommt Christus zusammen mit den Gläubigen wieder zurück auf die Erde (vgl. Offenbarung). Zu diesem Zeitpunkt gibt es eine zweite Auferstehung jener Gläubiger, die in der Drangsalszeit gestorben sind. Das zweite Kommen Christi läutet die „tausend Jahre“ (= „Tausendjähriges Reich“) ein.

  6. Mit dem Beginn des Tausendjährigen Reiches wird die prophetische Zeit fortgesetzt, da Gott sich Seinem besonderen Volk, den Juden, wieder zuwendet. Christus kommt auf die Erde und herrscht in einem irdischen Königreich des Friedens und des Wohlstandes, ein Königreich, dessen Zentrum in Jerusalem liegt. Den Juden wird Palästina wiedergegeben und der Anblick des Messias führt dazu, dass sie sich Ihm durch eine große nationale Bekehrung zuwenden. Am Anfang dieses Zeitraums wird Satan gebunden und Christus besiegt den Antichristen in der Schlacht von Armageddon. Der Fluch wird von der Schöpfung genommen. Die Wüsten blühen und wilde Tiere werden zahm. Eine große Zahl von Heiden bekehrt sich ebenfalls und werden Teil des Reiches.

  7. Am Ende des Tausendjährigen Reiches wird Satan für eine kurze Zeit freigelassen.

  8. Dann, am Ende der Welt, findet die dritte Auferstehung statt – die Auferstehung der Gottlosen. Sie werden zusammen mit dem Teufel und seinen Engeln beurteilt, als schuldig befunden und auf ewig dem Schmerz der Hölle ausgesetzt.

  9. Schließlich wird mit der Fülle des Himmels und der Leere der Hölle der ewige Zustand hergestellt. Manche Vertreter dieser Lehre sagen, dass alle Erlösten sich zusammen in einem neuen Himmel und auf einer neuen Erde aufhalten. Andere wollen die Angehörigen des Reiches und die Gemeinde für immer getrennt halten – die einen in einem irdischen Paradies, die anderen im Himmel.

Diese Darstellung ist eine stark verdichtete und sehr vereinfachte Version dieser Lehre. Manche Autoren kommen auf insgesamt 22 verschiedene Ereignisse. Viele prämillenialistische Prediger müssen ein kompliziertes Schaubild zu Hilfe nehmen, das sich einmal quer über die Breite des Gemeindegebäudes erstreckt, um es ihren Zuhörern zu ermöglichen, ihren Ausführungen zu folgen. Stichwortartig lässt sich der Prämillenialismus wie folgt beschreiben: Sieben Haushaltungen, acht Bündnisse, zwei Zweite Kommen, drei oder vier Auferstehungen und zumindest vier verschiedene Gerichte. Man kann sich nur schwerlich vorstellen, dass das die Lehre der Bibel sein soll, die doch in einfacher Sprache für einfache Menschen geschrieben wurde – ja, für Säuglinge. Doch wenden wir uns nun dem erfrischend unkomplizierten, klaren Wort Gottes zu, um Licht in diese Angelegenheit zu bringen.

Gedankliche Voraussetzung für alle Überlegungen der Prämillenialisten ist die Trennung zwischen dem Israel des Alten Testaments und der Gemeinde des Neuen Testaments. Es stellt sich somit die Frage: Ist Israel das Volk von Gottes Reich und sind die Heiden Seine Gemeinde? Oder ist Israel vielmehr ein geistliches Konzept, so dass Israel die Gemeinde ist und die Gemeinde ist Israel? Wenn die grundlegende Einheit des Gnadenbundes bewiesen werden kann; wenn z. B. Abraham und die neutestamentlichen Heiden in den Augen Gottes eins sind; wenn Gott mit Seinem Volk in jedem Zeitalter nach dem gleichen Prinzip – dem Glauben – verfährt, dann ist der Prämillenialismus widerlegt und kann nur als kreativer Missbrauch der Schrift bezeichnet werden.

Mit diesem Mann des Glaubens, Abraham, zu dem alle Juden stolz ihre Abstammung zurückverfolgt haben, hat Gott seinen ewigen Gnadenbund geschlossen (1. Mose 17,7). Dieser Bund wurde auch mit den Nachkommen Abrahams geschlossen (1. Mose 22,17). Der HERR macht deutlich, dass in Seinem Samen (Christus) alle Nationen der Erde gesegnet werden sollen (1. Mose 22,18). Im Galaterbrief greift Paulus (der Apostel der Heiden) das Beispiel Abrahams auf, indem er die törichten Galater für ihren Versuch zurechtweist, durch Werke gerechtfertigt zu werden. Der Apostel macht deutlich, dass Gott den Glauben an Christus als Gerechtigkeit rechnet und spricht sodann diese faszinierenden Worte: „Erkennet denn: die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Söhne.“ (Galater 3,7). Später schreibt er: „Christus hat uns losgekauft von dem Fluche des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: “Verflucht ist jeder, der am Holze hängt!”); auf daß der Segen Abrahams in Christo Jesu zu den Nationen käme“. Er beendet das Kapitel mit den Worten: „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Weib; denn ihr alle seid einer in Christo Jesu. Wenn ihr aber Christi seid, so seid ihr denn Abrahams Same und nach Verheißung Erben.“

Wer erkennt hier nicht die Einheit von Gottes Erlösungswerk? Abrahams Samen, das wahre geistliche Israel, besteht aus all denen, denen der Glaube an Seinen lieben Sohn geschenkt wurde. In engem Zusammenhang mit dem Vorstehenden steht die Tatsache, dass Paulus auch die Einheit der Gemeinde aller Zeiten in Abschnitten wie Römer 9,6-9, Epheser 2,19-22, Epheser 4,4-6 und Kolosser 1,16-20 betont. Jesus selbst als der gute Hirte war sich der Einheit derer völlig bewusst, die Ihm von Gott zur Erlösung gegeben wurden. Er sagte zu den Juden in der Säulenhalle Salomos: “Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hofe sind; auch diese muß ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein.“ (Johannes 10,16).

Zweitens gibt die Stelle, auf die sich die Prämillenialisten am häufigsten beziehen – 1. Thessalonicher 4,13-17 – schlicht keine plötzliche, stille „Entrückung“ und eine davon getrennte Auferstehung der Gläubigen und Gottlosen her. Vielmehr geht es hier um die sichtbare, wahrnehmbare (Stichwort Ruf, Stimme, Posaune…) Wiederkunft Christi; die Auferstehung der verstorbenen Gläubigen, gefolgt von der Wegnahme jener Gläubigen, die zum Zeitpunkt des Kommens Christi leben. Das Schicksal der Gottlosen wird hier nicht thematisiert. Es geht darum, dass die Heiligen für immer bei ihrem HERRN bleiben werden und nicht darum, dass sie in ihren verherrlichten, geistlichen, ewigen Körpern wieder zu dieser irdischen Welt zurückkehren. Sie bleiben bei Christus in der himmlischen Herrlichkeit!

Zudem macht Christus selbst deutlich, dass es nur eine Auferstehung gibt: „Wundert euch darüber nicht, denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören, und hervorkommen werden: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts.“ (Johannes 5,28-29). Die Heilige Schrift kennt nur ein Zweites Kommen Christi, eine Auferstehung zum Zeitpunkt seines Kommens und ein Gericht.

Schuld an dem falschen Verständnis der Prämillenialisten ist die von ihnen verwendete Auslegungsmethode. Es ist normalerweise ein vernünftiger Grundsatz, dass schwierige Schriftstellen – was Offenbarung 20 sicherlich ist – im Lichte einfacherer Stellen ausgelegt werden müssen. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass bei der Auslegungsmethode der Prämillenialisten eine vorgefasste Annahme in die Schrift hineingetragen wird: Schwierige Schriftstellen werden als Beweis für die eigene Überzeugung angeführt und dann wird versucht, viele einfachere Schriftstellen mit dieser Überzeugung in Übereinstimmung zu bringen. Das Ergebnis ist eine gewaltsame Spaltung des Wortes und damit des erlösenden Werkes Gottes! Aber Gott ist eins. Sein Wort ist eine Einheit (dargestellt in zwei Testamenten, der Prophetie und deren Erfüllung), und die Erlösung in Jesus Christus ist einheitlich!

Zweifellos nähern wir uns dem Ende dessen, was das Buch der Offenbarung als die „tausend Jahre“ bezeichnet. Dieser Zeitraum nahm seinen Anfang an Pfingsten und wird dann enden, wenn Zeit und Geschichte ihr Ende finden. Christus wird persönlich und sichtbar zurückkehren, die Toten aus den Gräbern und Meeren rufen, alle Menschen nach ihren Werken richten und Seine Schafe in eine Herde bringen, das himmlische Haus vieler Wohnungen! Lasst uns weiterhin die Wahrheit der reformierten Lehre verkünden, „dass der Sohn Gottes aus dem ganzen Menschengeschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammelt, schützt und erhält“ (Heidelberger Katechismus, Sonntag 21, 54. Frage). Gesegnet seien all jene, die lebende Glieder davon sind!

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