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Die drei Wellen der Pfingst- und Charismatischen Bewegung

Rev. Angus Stewart

Einführung

Charismatische Christen stellen heute eine bedeutsame Strömung innerhalb der Christenheit dar. Einer Schätzung zufolge betrug die Gesamtzahl der Pfingstler, Charismatiker und Neocharismatiker im Jahr 2.000 etwa 523.767.400 Personen1 – also über eine halbe Milliarde Menschen. In anderen Worten: Ungefähr ein Zwölftel der Weltbevölkerung im Jahr 2.000 waren Pfingstler, Charismatiker oder Neocharismatiker. Diese Strömung innerhalb der Christenheit wird allgemein als die am schnellsten wachsende betrachtet. Ein Kirchenhistoriker bezeichnete die Pfingst- und Charismatische Bewegung als die „am schnellsten wachsende Ausprägung des christlichen Glaubens aller Zeiten“2.

Noch viel beunruhigender ist jedoch die sich wandelnde Wahrnehmung der Pfingst- und Charismatischen Bewegung und ihrer Ansichten seitens vieler Christen aus dem protestantischen, calvinistischen und reformierten Lager. Es gab eine Zeit, in der diese Bewegung als absonderliches Phänomen am äußersten Rande des christlichen Spektrums angesehen wurde. Doch heute – man höre und staune – sind die Anhänger dieser Bewegung plötzlich treue Brüder und Schwestern in unserem Herrn Jesus Christus! Heute heißt es: „Natürlich, wir haben in manchem unterschiedliche Ansichten, aber wir können doch mit Pfingstlern, Charismatikern und Neocharismatikern zusammenarbeiten. Außerdem können wir viel von ihnen lernen.“ Dieser Artikel soll diese sehr große und schnellwachsende Bewegung kurz skizzieren, die von vielen heute zunehmend akzeptiert wird.

Was ist das Kernstück der Lehren der Pfingstler, Charismatiker und Neocharismatiker? Sie haben eine recht eigenwillige Lehre bezüglich des Heiligen Geistes. Sie glauben, dass die übernatürlichen Gaben des Heiligen Geistes, insbesondere das Sprachenreden, Wunder und Prophetie auch heute noch den Gläubigen zur Verfügung stehen. Im Zuge dessen wird auch vermehrt vertreten, dass der Heilige Geist wieder Propheten (sogar „Überpropheten“) und Apostel (sogar „Überapostel“) einsetzt. Der Heilige Geist soll durch diese und andere Mittel Einzelne und auch ganze Gemeinden dazu befähigen, mit großer Freude und Vollmacht Gott anzubeten und zu evangelisieren.

Pfingstler, Charismatiker und Neocharismatiker betonen insbesondere die Erfahrung des Heiligen Geistes. Dies sei eine übernatürliche und außergewöhnliche Erfahrung, bei der man in Verzückung gerät, und sich völlig frei und ungezwungen vor Gott fühlt. So etwas kommt heute natürlich gut an.

Nach Ansicht der Pfingst- und Charismatischen Bewegung ist das die wahre Manifestation neutestamentlichen Glaubens. Als Grundlage hierfür dienen die Apostelgeschichte und das Gemeindeleben zur Zeit der Apostel. Zudem stellen die Pfingstler, Charismatiker und Neocharismatiker ihre Bewegung nicht nur als Rückkehr zur apostolischen Zeit dar, sondern auch als Weg, der in die Zukunft weist. „Gott vollbringt etwas Neues auf der Erde, er lässt eine große Erweckung in der Endzeit geschehen“, so behaupten sie. „Wir sind voller Tatkraft und tun große Dinge für den Herrn. Schaut euch die Größe unserer Bewegung und ihr Wachstum an – und es gibt sie gerade einmal ein Jahrhundert. Das ist der Weg, auf dem der christliche Glaube erfolgreich und segensreich in die Zukunft gehen kann.“

Schauen wir uns die Geschichte und die Herkunft der Pfingstler, Charismatiker und Neocharismatiker an und folgen dabei der üblichen Einteilung von C. Peter Wagner in drei Wellen.

Die erste Welle: Die Pfingstbewegung

Die Pfingstbewegung war die erste Welle des Heiligen Geistes, die über die Gemeinde hereinbrach. Im Jahre 1906 fand in der Azusa Street 312 in Los Angeles, Kalifornien, eine Erweckung statt, an deren Spitze der schwarze Pastor William J. Seymour stand. Er war Anhänger der Heiligungsbewegung und glaubte an die Möglichkeit der völligen Heiligung noch in diesem Leben. Bei dieser Erweckung seien die Anwesenden mit dem Heiligen Geist getauft worden und hätten in Sprachen geredet. Es sei wie Pfingsten in Apostelgeschichte 2 gewesen. Der Kirchenhistoriker Vinson Synan, der der Bewegung aufgeschlossen gegenübersteht, beschreibt wie folgt, was geschehen war:

Ein Besucher der Azusa Street hätte während der dreieinhalbjährigen Erweckung Szenen miterlebt, die einfach unbeschreiblich sind. Männer und Frauen riefen laut, weinten, tanzten, fielen in Trance, sprachen und sangen in Zungen und übersetzten die erhaltenen Botschaften auf Englisch […] Inmitten von alldem befand sich der „Älteste“ Seymour, der so gut wie nie predigte (!) und die meiste Zeit seinen Kopf in einem leeren Umzugskarton hinter der Kanzel verbarg. Manchmal sah man ihn durch die Menge gehen während 5- und 10-Dollarnoten aus seinen Hosentaschen herausschauten, die die Anwesenden von ihm unbemerkt dort hineingestopft hatten. Manchmal „predigte“ er auch, was bedeutete, dass er diejenigen, die seine Ansichten nicht teilten, provokativ herausforderte. Oder aber er ermutigte Suchende, die sich bei den aus Brettern hergestellten Altären aufhielten, „den Zungen freien Lauf“ zu lassen. Anderen rief er zu: „Nur zu! Bittet um Errettung, [völlige] Heiligung, die Taufe mit dem Heiligen Geist oder göttliche Heilung.“3

Was für ein Chaos! Menschen, die tanzen, Unsinn rufen bzw. singen, während Seymour seinen Kopf in einem Umzugskarton versteckt hält oder durch die aufgewühlte Menge geht, während Dollarnoten aus seinen Gesäßtaschen schauen oder er pfingstlerische Befehle brüllt. Das ist sicherlich nicht das Werk des Heiligen Geistes (1Kor 14,33, 40; 2Tim 1,7)! Ausgehend von der Azusa Street verbreitete sich die Pfingstbewegung über die Vereinigten Staaten und die ganze Welt. Es bildeten sich verschiedene Pfingstdenominationen wie z. B. die Assemblies of God.

Die zweite Welle: Die Charismatische Bewegung

Etwa 50 Jahre nach der Erweckung in der Azusa Street kam die zweite Welle: Die Charismatische Bewegung. Wie auch die Pfingstbewegung begann sie in Kalifornien. An einem Sonntagmorgen im Jahre 1959 verkündete Dennis Bennett, ein Geistlicher der Episkopalkirche, seiner Gemeinde in Van Nuys, Kalifornien, dass er mit dem Heiligen Geist getauft worden sei und in Zungen gesprochen habe.

Wie auch die Pfingstler glauben die Charismatiker an eine Taufe mit dem Heiligen Geist, die der Bekehrung unmittelbar oder später folgt und die sich im Zungenreden ausdrückt. Doch anders als Pfingstler teilen sich Charismatiker nicht in verschiedene Denominationen auf. Es gibt also charismatische Anglikaner, charismatische Lutheraner, charismatische Presbyterianer, charismatische Katholiken, charismatische Methodisten etc. Wie die Pfingstbewegung verbreitete sich die Charismatische Bewegung auf der ganzen Welt.

Die dritte Welle: Die Neocharismatische Bewegung

Ungefähr 20 Jahre nachdem Pastor Dennis Bennetts Botschaft wie eine Bombe eingeschlagen hatte, brach die dritte Welle los: Die Neocharismatische Welle. Während die ersten beiden Wellen über die sonnigen Strände Kaliforniens hereinbrachen, erhielt die dritte Welle Anfang der 1980er Jahre lediglich ihre Bezeichnung in Kalifornien durch C. Peter Wagner vom Fuller Theological Seminary in Pasadena. Wie die Pfingstler und Charismatiker praktizieren auch die Anhänger der dritten Welle oder Neocharismatiker die pfingstlerischen bzw. charismatischen Gaben. Allerdings glauben die Neocharismatiker – anders als die Pfingstler und Charismatiker – nicht, dass die Taufe mit dem Heiligen Geist als zweites, auf die Wiedergeburt folgendes Gnadenwerk, für die Ausübung der Geistesgaben notwendig ist. Ebenso wenig sehen sie Zungenreden als ersten, wahrnehmbaren Beweis für die Taufe mit dem Heiligen Geist an. Die Anhänger der dritten Welle stellen das Ausüben der (pfingstlich-charismatischen) Geistesgaben weniger in den Vordergrund und versuchen diesbezüglich auch weniger polarisierend aufzutreten.

Die Folgen der drei Wellen

Diese Wellen nahmen vor knapp über einen Jahrhundert im Jahre 1906 mit der Pfingstbewegung ihren Anfang, setzten sich 1959 mit der Charismatischen Bewegung fort, die dann in den 1960er Jahren geradezu explodierte, bis dann einige Jahrzehnte später die Welle der Neocharismatik folgte. Diese Tsunamis haben die Menschen in den letzten hundert Jahren mit ihrer falschen Lehre „hin- und hergeworfen und umhergetrieben“ (vgl. Eph 4,14). Wir können dankbar sein, dass wir trotz dieser drei Wellen trocken geblieben sind!

Innerhalb dieser breiten Strömung charismatischer Christen, bestehend aus Pfingstbewegung, Charismatischer Bewegung und Neocharismatischer Bewegung gibt es verschiedene Organisationen und Gruppierungen, wie z.B. Full Gospel Businessmen Fellowship International, die Bewegung der Gemeinschaft des Spätregens (Latter Rain Movement) oder auch die Zeichen-und-Wunder-Bewegung (Signs and Wonders Movement). Diese lehren, dass evangelistischen Aktivitäten echte Vollmacht fehlt, solange sie nicht von Wundern begleitet werden (entgegen von Röm 1,16-17; 1Kor 1,22-24).

Während des Toronto-Segens, der in 1994 begann, fielen die Menschen rückwärts um und nannten dies dann „erschlagen im Geist“ sein. Vor noch nicht allzu lange Zeit hat der Kanadier Todd Bentley von Fresh Fire Ministries in Florida beteuert, dass er Tote wieder zum Leben erweckt habe. Ein – wohlwollender – Bericht nannte die Zahl von über 20 und ein weiterer sprach sogar von über 30 Personen4. Selbst in Nordirland behauptete jemand, der Fresh Fire Ministries angehörte, dass er einen jungen Mann in der Gegend von Tiger’s Bay, Belfast, wieder zum Leben erweckt hätte.

Über ein Jahrhundert Pfingst- und Charismatische Bewegung haben viele bleibende Erinnerungen hinterlassen: Sei es ihr Gründer mit seinem Kopf in einem Umzugskarton oder auch Menschen, die „erschlagen im Geist“ auf dem Boden liegen und ein Nickerchen machen. Manche erinnern sich an Rodney Howard-Browne und wie er sich zu der blasphemischen Aussage verstieg, der „Barkeeper des Heiligen Geistes“ zu sein. Unvergessen ist auch Benny Hinn, wie er sein Jackett auszieht, damit wedelt und pustet und die Menschen daraufhin rückwärts umfallen. Abgerundet wird dies alles mit dem sinnfreien Kauderwelsch des Zungenredens, Tiergeräuschen, unkontrollierbarem Lachen und weiteren Verrücktheiten auf der Bühne und unter den Teilnehmern.

Weniger amüsant sind allerdings die Bilder von kranken und behinderten Menschen, die nach dem Besuch einer weiteren großen, charismatischen Heilungsveranstaltung ungeheilt nach Hause gehen müssen. Viele von uns kennen Menschen, auch aus der Familie, die in den Bann der Pfingst- und Charismatischen Bewegung hineingeraten sind und dort innerlich völlig durcheinander gebracht wurden. Manche haben Jahre gebraucht um sich davon zu erholen, während andere nie darüber hinweggekommen sind.

Geliebte, lasst uns in den „alten Pfaden“ des biblischen, reformierten und bekenntnisorientierten Glaubens wandeln. Dies ist der „gute Weg“, der dem Dreieinigen Gott, offenbart in Jesus Christus, Ehre gibt. In der Bundesgemeinschaft mit unserem Vater und durch seinen Heiligen Geist, finden wir und unsere Kinder Ruhe für unsere Seelen (Jer. 6,16).


Fußnoten

1 Stanley M. Burgess (Herausgeber)und Eduard M. van der Maas (Mitherausgeber), The New International Dictionary of Pentecostal and Charismatic Movements (Grand Rapids, MI: Zondervan, rev. 2002), Seite 301.
2 Stephen Tomkins, John Wesley: A Biography (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2003), Seite 199.
3 Vinson Synan, The Holiness-Pentecostal Tradition (Grand Rapids, MI: Eerdmans, rev. 1997), Seiten 98-99.
4 Andere haben darauf hingewiesen, dass kein einziger Fall medizinisch nachweisbar war.

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