Herman Hoeksema
Die Aufgabe einer Einführung in die Dogmatik
Es gehört ordnungsgemäß zu einer Einführung in die Dogmatik die Wirklichkeit, Möglichkeit und den Ursprung des Wissens von Gott zu untersuchen und die erkenntnistheoretischen Gesetze oder Prinzipien, die allen wissenschaftlichen dogmatischen Untersuchungen zugrunde liegen müssen, zu ermitteln und darzulegen. Diese Untersuchung darf jedoch nicht rationalistisch verfahren, auch wenn dies oft getan wurde.
Die Einführung in die Dogmatik scheint sehr leicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, eine rationalistische Kritik zu werden, die es sich zur Aufgabe setzt die Möglichkeit und das Recht einer dogmatischen Wissenschaft a priori darzulegen. Die Einführung, oder Prolegomena, versucht dann die Rationalität des Wissens von Gott zu begründen und vor dem Forum der Vernunft – unabhängig von der Schrift – den Nachweis zu erbringen, dass Wissen von Gott möglich ist, dass es tatsächlich sowohl ein objektives Prinzip des Wissens (principium cognoscendi objectivum) – Offenbarung – als auch ein subjektives Prinzip (principium cognoscendi subjectivum) – den Christlichen Glauben – gibt. Die Schlussfolgerung ist dann, dass der Glaube völlig rational ist und die Dogmatik zu Recht einen Platz unter den Wissenschaften beanspruchen kann.
Aber dies kann unmöglich die Einstellung eines christlichen Dogmatikers sein, nicht einmal in der Einführung. Sollte jemand versuchen sich auf diese Weise der Dogmatik zu nähern, würde allein die Tatsache, dass er dies über eine philosophische Herangehensweise unternimmt, sein Schicksal als Dogmatiker besiegeln; denn aus dem, was man rationalistisch beginnt, können unmöglich nach der Methode des Glaubens Schlüsse gezogen werden, noch könnte ein philosophischer Ansatz jemals zur Erkenntnis von Gott oder von Offenbarung führen.
Die Einführung will daher keine Verteidigung oder Rechtfertigung (raison d’être) der Dogmatik gegenüber der Vernunft sein. Im Gegenteil, ganz im Einklang mit der Dogmatik selbst ist ihr Charakter und ihr Vorgehen streng theologisch, und muss es auch sein. In der Einleitung ist und darf der Dogmatiker nicht ohne Voraussetzungen sein. Vielmehr geht er von der Grundannahme aus, dass die Schrift die Offenbarung Gottes ist, dass Gott ist, dass er sich offenbart hat und dass er deshalb erkennbar ist.
Sicherlich ist es die Aufgabe einer Einführung die Möglichkeit des Wissens von Gott und damit die Möglichkeit von Dogmatik überhaupt aufzuzeigen. Jedoch tut sie dies nicht vor dem Forum der Vernunft, sondern vor dem Geist des Glaubens. Schon in der Einführung ist die Offenbarung der Schrift unser objektives Prinzip des Wissens. Daher ist und bleibt der Ansatz desjenigen, der in die Untersuchung der erkenntnistheoretischen Prinzipien der Dogmatik einführt, der Ansatz des Glaubens.
Es ist völlig unmöglich, dass der gläubige Dogmatiker seinen Glauben ablegen könnte um von einem anderen Prinzip aus seine Untersuchung durchzuführen. Er ist in Christus eingepflanzt, durch den er ein neues Leben empfangen hat und durch den sein Geist durch ein neues Licht erleuchtet wird. Er lebt in der Weisheit Christi und im Bereich dieser Weisheit führt er alle seine dogmatischen Arbeiten aus. Er erkennt deutlich, dass außerhalb dieser Sphäre alle seine Arbeiten im Interesse der Erkenntnis von Gott aufhören müssen. Denn außerhalb des Geistes Christi ist das Natürliche, und der natürliche Verstand versteht nichts von den Dingen des Geistes (1Kor 2:14).
Der Vorrang der Dogmatik
Tatsächlich wartet die Dogmatik nicht erst auf eine Einführung, sondern führt ihre Arbeit im einfachen Glauben an die Realität jener Prinzipien aus, die die Einführung erst noch demonstrieren soll. Genauso wie keine Wissenschaft darauf wartet, bis der Philosoph seine Untersuchung der Möglichkeit von Wissen und ihrer epistemologischen Grundprinzipien abgeschlossen hat, sondern einer solchen Untersuchung vorauseilt, wartet auch die Kirche bei ihrer Entwicklung des Systems der Dogmatik nicht darauf, bis die ihr zugrundeliegenden Prinzipien des Wissens von Gott dargelegt worden sind, sondern arbeitet kontinuierlich an der systematischen Darlegung der geoffenbarten Wahrheit.
Dogmatik geht demnach prinzipiell einer Einführung in dieselbe voraus, und ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sie entwickelt wurde, lange bevor es irgendeine Einführung in die Dogmatik gab. Dies im Hinterkopf behaltend, erfüllt die Einführung in die Dogmatik dennoch sicherlich ein Bedürfnis sowohl des menschlichen, als auch des gläubigen Geistes und Herzens. Der menschliche Geist sieht sich genötigt nicht nur die Wirklichkeit, sondern auch die Möglichkeit des Wissens von Gottes – sein Wie und Warum – zu untersuchen. So wird in der Einführung die Frage gestellt (und auch beantwortet): Wie ist Wissen von Gott möglich?
Prinzip 1: Gott ist ein wissender Gott
Dass Gott das wesentliche Prinzip (principium essendi) jeder Theologie ist, wurde von sämtlichen Dogmatikern der Dogmengeschichte zu Recht betont. Was ist mit der Aussage gemeint, dass Gott das Prinzip seines eigenen Wissens ist? Wie kann das erklärt werden? Als Antwort auf diese Frage bieten wir folgende Erklärung an.
Gott ist ein wissender Gott. Er ist keine kalte, abstrakte Macht, sondern er ist das absolute, vollkommen selbst-bewusste, unendliche Wesen, das in sich die Implikation sämtlicher Vollkommenheiten ist. Wenn wir sagen, dass er ein wissender Gott ist, dann meinen wir damit, dass er in seinem Wissen selbstgenügsam ist. Er ist auf kein Wesen außerhalb seines Selbst angewiesen, um ein wissender Gott zu sein. Er benötigt keinen Gegenstand der Erkenntnis außerhalb seiner eigenen unendlichen Fülle. Er ist in sich selbst Subjekt und Objekt allen Wissens. Er ist das perfekte Subjekt, ebenso wie das unendlich perfekte Objekt seiner eigenen Erkenntnis. Wenn wir sagen, dass Gott das Prinzip allen Wissens von Gott ist, so wollen wir damit zu Verstehen geben, dass er im tiefsten Sinne ebenfalls das Prinzip desjenigen Wissens von ihm ist, das in der Kreatur angetroffen werden kann.
Wenn Gott lediglich der Gegenstand, das Objekt des Wissens wäre, so könnte er nicht erkannt werden: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden, und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater; und niemand erkennt den Vater als nur der Sohn und der, welchem der Sohn es offenbaren will“ (Mt 11:27).
Die Schrift lehrt, dass Gott der lebendige Gott ist. Das bedeutet, dass er der Bundesgott ist, was wiederum bedeutet, dass er Gemeinschaft in und mit sich selbst hat.In der Dreieinigkeit muss der tiefste Grund, das Grundprinzip jeder Theologie gefunden werden, denn die Dreieinigkeit lehrt uns, dass Gott in höchster Vollkommenheit ein selbst-bewusster Gott ist, dass er Subjekt, Prädikat und Kopula dieser Selbst-Erkenntnis ist. Denn er ist der einzige Seiende, das Sein, außer dem es kein anderes Sein gibt als bloße Existenz (es gibt nur ein ICH BIN, alles andere ist Existenz), und er ist die Implikation aller Vollkommenheiten.
Dieser Ewige subsistiert in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das bedeutet, dass die erste Person Vater, Schöpfer, Subjekt und Sprecher ist, und zwar mit allen unendlichen Vollkommenheiten des göttlichen Wesens. In der ersten Person ist Gott persönlicher Vater, aber er ist Vater in Bezug auf sich selbst als Gott. Die zweite Person ist der Sohn, das Prädikat, das gesprochene Wort, das unendliche, ausdrückliche Bild des Vaters, sein vollständiger Ausdruck. Daher ist der Sohn mit allen unendlichen Vollkommenheiten der Gottheit das Wort Gottes zum Vater. In der ersten Person ist das Subjekt; in der zweiten Person das Prädikat. In der dritten Person, dem Heiligen Geist, kehrt das Prädikat, als das Wort Gottes zu sich selbst, zu Gott zurück. Der Geist geht vom Vater zum Sohn und vom Sohn zum Vater. Denn „der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes“ (1Kor 2:10). So gibt es in Gott eine unendliche, vollkommene Selbst-Erkenntnis – Gott ist ein wissender Gott.
Prinzip 2: Gott ist ein sprechender Gott
Daraus folgt weiterhin, dass Gott ein sprechender Gott ist. Er spricht von sich selbst und zu sich selbst. Er ist sowohl das Subjekt als auch das Prädikat in all seiner Rede. Wenn wir sagen, dass Gott spricht, so sollten wir darauf achten, dass seine Rede unendlich perfekt ist und nicht durch die Unvollkommenheiten von Zeit und Veränderung begrenzt wird, wie es etwa bei der Rede des Menschen der Fall ist. Von Ewigkeit zu Ewigkeit drückt Gott die ganze Fülle seines unendlichen Geistes aus und hört sein eigenes Wort. Zweifellos ist es diese Wahrheit, die dem Konzept der göttlichen Weisheit im Alten Testament und dem göttlichen Wort (Logos) im Neuen Testament zugrunde liegt. Das Wort, das Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit an sich selbst wendet, ist der Sohn, der immer “mit Gott” und dem Wesen nach selbst Gott ist (Joh 1:1).
Nun gefiel es Gott nach seinem ewigen Wohlgefallen außerhalb von sich selbst über sich selbst zu sprechen, sein Wort außerhalb seiner selbst fortschreiten zu lassen (ad extra). Es sollte betont werden, dass dies kein Akt der Notwendigkeit ist, sondern der Souveränität, der souveränen Freiheit, bestimmt durch seinen souveränen, ewigen Ratschluss. Vielleicht ist es gefährlich zu versuchen, mehr über das Motiv dieser Rede Gottes außerhalb seiner selbst zu sagen. Gewiss lehrt uns die Schrift, dass diese Rede vom höchsten Willen Gottes veranlasst ist, sich selbst zu verherrlichen. Dennoch bleibt folgende Frage: Warum sollte Gott es wünschen, dass seine Rede außerhalb von ihm (ad extra) fortläuft, wenn er doch sieht, dass seine Rede in sich selbst (ad intra) unendlich perfekt ist?
Eine andere, häufig gestellte Frage taucht hier auf: Fügt Gottes Rede außerhalb seiner selbst etwas zu seiner eigenen Herrlichkeit hinzu? Kann etwas zu dieser vollkommenen Selbstverherrlichung hinzugefügt werden, die er durch das Wort und im Geist schon hat? Hier stehen wir vor dem ultimativem Rätsel der Beziehung zwischen Welt und Gott.
Es ist ausreichend zu sagen, dass alle Werke Gottes außerhalb seiner selbst durch seine Werke innerhalb seiner selbst motiviert sind. Das Wort welches er in sich selbst und zu sich selbst spricht, das ewige Wort (Logos), ist sowohl Prototyp als auch Motiv für das Wort, das er außerhalb seiner selbst spricht. Die Fülle seiner eigenen Güte im Bild seines Sohnes betrachtend und die Fülle seiner Herrlichkeit durch das ursprüngliche Wort (Logos) ausdrückend und empfangend, wünscht und beschließt Gott das ungeschaffene Wort kreativ hervorgehen zu lassen. Das ist die Idee des objektiven Prinzips des Wissens (principium cognoscendi objectivum) oder des objektiven Ursprungs des Wissens von Gott. Wir müssen uns merken, dass selbst in diesem Wort Gottes außerhalb seiner selbst er nicht zunächst zu uns spricht, sondern von sich selbst und zu sich selbst. Er bleibt das Subjekt und das Prädikat auch von diesem Wissen.
Das ist die Wahrheit vom Sprechen Gottes in der Schöpfung. Die Schrift lehrt, dass alle Dinge durch das Wort gemacht sind und ohne das Wort (Logos) “auch nicht eines entstanden ist, was entstanden ist” (Joh 1:3), so dass wir sagen können, dass das Universum das geschaffene Wort (Logos) ist. Dieses Wort ist nicht wie eine tote Handschrift, sondern es ist das lebendige Wort Gottes, das Gott fortdauernd zu sich selbst spricht.
Die Welt erhielt ihr ursprüngliches Dasein, weil Gott im Anfang sprach. Sie existiert auch weiterhin durch das Sprechen Gottes, weil er alles durch die Kraft seines Wortes trägt (Hebr 1:3). Daher ist das Universum eine durch viele unterschiedliche und mannigfaltige Wörter gestaltete Gottesrede, die sich jedoch auf ein einziges Thema konzentriert: den lebendigen Gott selbst. In all ihren reichen und unendlichen Variationen stellt die Welt das eine, geschaffene Wort Gottes dar. Deshalb gilt: “Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündigt das Werk seiner Hände”(Ps 19:1). Doch gilt diese Verkündigung zunächst Gott selbst. Gott erschafft das Licht und er betrachtet dasselbe. Das von ihm ausgehende Licht kehrt zu ihm zurück. Und so kehrt das ganze Wort, das er spricht und in dem er seine eigenen Vollkommenheiten ausdrückt, immer in seiner ganzen Fülle zu seinem Grund zurück.
Prinzip 3: Gott ist ein Gott, der sich offenbart
Wenn nun weiter nichts gesagt werden könnte, so gäbe es keine Offenbarung Gottes, denn Offenbarung bedeutet, dass Gott nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu einem anderen, außerhalb von ihm Existierenden spricht. Mit anderen Worten: Offenbarung impliziert, dass es ein Wesen gibt, das Gottes Rede von sich selbst und zu sich selbst empfangen und verstehen kann. Da ein solches Wesen nicht aus sich selbst existieren kann, impliziert Offenbarung weiterhin, dass Gott ein solches Wesen schafft, das fähig ist das Subjekt der Erkenntnis Gottes zu werden. Dieses schuf Gott als er den Menschen aus dem Staub des Bodens formte und den Odem des Lebens in seine Nase blies, wodurch er eine lebendige Seele wurde, die Gott mit seinem eigenen Bild ausstattete. Im Menschen leuchtete das Licht des Wortes (Logos) klar und hell auf. Der Mensch wurde zunächst mit dem sog. natürlichen Licht ausgestattet. Sein fünffaches Empfindungsvermögen brachte ihn in Berührung mit der Rede Gottes in den geschaffenen Dingen, sodass er Empfänger dieser Rede wurde. Kraft seines Wahrnehmungsvermögens konnte er die Sinneseindrücke interpretieren und damit die Rede Gottes, die mit ihnen verbunden ist. Durch seinen Intellekt war es ihm möglich das Werk Gottes als Ganzes zu verstehen und zum Wissen des alleinigen Gottes zu gelangen. Diese Macht wurde offenbar, als Adam den Tieren Namen gab.
Im Lichte der biblischen Darstellung der Schöpfung des Menschen und seiner Beziehung zu allen Dingen und zu Gott, muss die Philosophie des Idealismus mit Nachdruck zurückgewiesen werden. Das Subjekt schafft nicht das Objekt, noch kann überhaupt ein Zweifel darüber bestehen, wie das richtige Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt auszusehen hat. Durch den Geist erhielt das Wort (Logos) im Menschen die wahre Kenntnis von, und stand in richtiger Beziehung zu dem Wort (Logos) in der Schöpfung.
Zweitens war der Mensch mit wahrem geistigem Licht ausgestattet, denn das Bild Gottes bestand aus wahrem Wissen – der Erkenntnis der Liebe, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit (Eph. 4:24; Kol 3:10). Das Wissen des Menschen war keine abstrakte theoretische Theologie. Er erkannte mit seinem ganzen Wesen, und aus seinem innersten Herzen antwortete er in Liebe auf die Rede Gottes. Das Wissen des Menschen war das Wissen des Lebens.
Drittens gab Gott dieser Kreatur, die mit dem Licht seiner Sinne und seiner Wahrnehmung sowie mit dem geistlichen Licht des noch nicht beschädigten Gottesbildes ausgestattet war, die wunderbare Gabe intelligenter Sprache. Daher war der Mensch in der Lage das auszudrücken, was er in seiner eigenen Seele von der Rede Gottes aufgenommen hatte und die Herrlichkeit des Namens Gottes kundzutun. Dieses Licht im Menschen, der nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde, war das ursprüngliche subjektive Prinzip des Wissens (principium cognoscendi subjectivum).
Prinzip 4: Gott ist ein Gott, der sich in einer gefallenen Welt offenbart
Durch Sünde wurde jedoch eine wichtige Veränderung sowohl in Bezug auf das subjektive als auch in Bezug auf das objektive Prinzip des Wissens bewirkt. Von der Rede Gottes durch die erschaffenen Dinge darf nicht behauptet werden, dass diese zum Schweigen gebracht wurde. Es bleibt häufig der Eindruck, als sei wegen der Sünde kaum oder gar kein Laut dieser Rede in der Schöpfung zu hören. Aber das Licht scheint weiterhin in der Finsternis, auch wenn die Dunkelheit es nicht versteht (Joh 1:5). Und die unsichtbaren Dinge Gottes, vor allem seine ewige Kraft und Gottheit (Röm 1:20), werden aus der Schöpfung der Welt deutlich erkannt, und verstanden durch die Dinge, die gemacht wurden.
Gott spricht immer noch von sich selbst als derjenige, der gefürchtet und verherrlicht werden muss. Aber es gibt noch eine andere Sprache Gottes durch die Dinge, die geschaffen wurden, eine Sprache die nicht gehört wurde, ehe die Sünde kam, die aber von der Kreatur gehört werden musste, da nachdem die Sünde in die Welt eintrat, Gott beständig von sich selbst durch die Sprache seines heiligsten Zorns spricht. Der Tod wurde als Urteil gegen den Sünder ausgesprochen und auch vollstreckt. Außerdem wurde der Boden verflucht und die ganze Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen, sodass sie in der Knechtschaft der Sterblichkeit liegt (Röm 8: 20-21). Der Zorn Gottes wird vom Himmel her offenbart (Röm 1:18).
Mit anderen Worten: Gott spricht immer noch. Zu sich selbst, durch eine gefallene Welt sprechend, spricht er von Gerechtigkeit und Heiligkeit, von Zorn und Tod. Es gibt auch keinen Ausweg: Was das Sprechen Gottes durch die geschaffenen Dinge betrifft, ist die Tür verschlossen, gibt es weder Liebe noch Gnade. Gott ist der Schrecken der Kreatur die seine Sprache hört.
Ebenso wurde das Subjekt der Erkenntnis Gottes durch die Sünde verändert, da alles Licht, welches im Menschen war, Finsternis wurde.1 Das bedeutet nicht, dass der Mensch irrational wurde. Er behielt ein paar Reste vom natürlichen Licht; durch das Licht dieser Überreste erkennt er – und versteht zum Teil sogar – die Dinge die geschaffen wurden und ist fähig sein irdisches Leben zu führen.2 Tatsächlich empfängt er durch das gleiche Licht auch die Rede Gottes durch die Dinge, die gemacht wurden (Vers 19-20).
Aber dieses Licht, wie es im gegenwärtigen Zustand des Menschen vorhanden ist, ist nichts anderes als ein sehr schwaches Flackern im Vergleich zu Adams ursprünglichem Licht klarer Intuition, mit dem er das Wort Gottes in der Schöpfung wahrnehmen und verstehen konnte, wie es bei der Namensgabe der Tiere offensichtlich wurde. Dieses Licht ist völlig ausreichend um dem Menschen jede Entschuldigung zu nehmen, denn er nimmt deutlich wahr, dass Gott derjenige ist, den man danken und verherrlichen muss; aber es kann sicherlich nicht ein adäquates Prinzip für irgendeine Art natürlicher Theologie sein. Eine Theologie, die die Offenbarung ignoriert, die jetzt durch Jesus Christus gekommen ist, kann niemals mehr als eine bloße Philosophie des Menschen sein, der stets bemüht ist seinen eigenen Gott zu schaffen und ein Idol anzubeten.
Prinzip 5: Gott ist ein Gott, der sich in Christus offenbart
Noch eine weitere Veränderung wurde durch die Sünde eingeführt, die sowohl die objektiven als auch die subjektiven Prinzipien des Wissens betraf. Diese ist die Offenbarung Gottes in Jesus Christus. In Christus, dem inkarnierten Sohn Gottes, der Selbstoffenbarung des Vaters nicht nur in seiner Person, sondern auch in seinem gesamten Werk, als er am Kreuz starb, am dritten Tag auferweckt und zur Rechten Gottes erhöht wurde – in ihm offenbarte sich der Allerhöchste inmitten der Finsternis der Sünde und des Todes als der Gott der Erlösung, der nicht nur die Dinge, die nicht sind, ruft als wären sie da, sondern auch die Toten lebendig macht (Röm 4:17), als der Gott der das Licht aus der Finsternis ruft, Gerechtigkeit aus der Sünde, Leben aus dem Tod.
Inmitten der verurteilenden und verfluchenden Rede Gottes wurde eine neue Rede gehört, die Rede des Evangeliums von Gott bezüglich seines Sohnes. Diese war von Anfang an zu hören, denn selbst im Paradies wurde das heilige Evangelium Gottes verkündet. Und seine Sprache, sei es nun durch direkte Offenbarung oder durch Träume und Visionen, wurde durch die gesamte Geschichte hindurch von Patriarchen und Propheten gehört. Sie wurde durch die Rede des Gesetzes im Alten Testament gehört, denn sie sprach durch sämtliche Schattenbilder des alten Bundes. Schlussendlich wurde sie durch die direkte Anrede des Menschen, durch den inkarnierten, gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Sohn realisiert. Sie wurde im neuen Testament von den Aposteln und Evangelisten gehört. Die Inhalte dieser neuen Rede von Gott besitzt die Kirche nun mit den inspirierten Aufzeichnung der Heiligen Schrift.
Die Aufgabe der Dogmatik ist es den Inhalt dieser Rede in systematischer Form darzulegen. Es ist daher logisch, dass für den Dogmatiker die Bibel das objektive Prinzip des Wissens ist. Dabei muss betont werden, dass sie allein und nichts anderes die Quelle seines dogmatischen Wissens ist. Dieses Prinzip besteht nicht aus zwei Elementen, einer allgemeinen und einer besonderen Offenbarung. Es ist natürlich wahr, was David sagt wenn er schreibt: “Es fließt die Rede Tag für Tag, Nacht für Nacht tut sich die Botschaft kund” (Ps. 19:3). Aber das Sprechen Gottes durch die Schöpfung und in der Geschichte könnte nicht richtig verstanden werden, wenn es nicht durch die Rede Gottes in Jesus Christus, unserem Herrn, gehört, verstanden, und durch dieselbe interpretiert würde.
Dennoch ist über dieses neue Werk und dieses neue Sprechen Gottes zu sich selbst noch nicht alles gesagt, denn der natürliche Mensch kann dieses Sprechen niemals hören. Er hat keine Augen zu sehen und keine Ohren zu hören und er kann die Dinge des Geistes nicht wahrnehmen oder verstehen (1Kor 2:14). Wir könnten sagen, dass das Thema von 1. Korinther 2 das ist, dass diese neue Rede Gottes nur vom geistlichen Menschen empfangen werden kann und dass deshalb das wahre subjektive Prinzip der Erkenntnis der Geist Gottes in Christus ist. Der Apostel beginnt mit der Aussage, dass es ihm unmöglich gewesen sei, mit klug ersonnenen Worten oder menschlicher Weisheit zu den Korinthern zu kommen, mit irgendeiner Demonstration menschlicher Gescheitheit oder Philosophie, als er ihnen das Wort Gottes verkündigte. Denn dieses Zeugnis, diese neue Rede von Gott betraf Christus, und zwar als Gekreuzigten, und erlaubte es damit nicht in Form von menschlicher Sprache oder Weisheit dargestellt zu werden. Deshalb bestanden die Reden und die Verkündigungen des Apostels nicht in überzeugenden Worten des menschlichen Denkens oder der Philosophie, sondern lediglich in Erweisung des Geistes und der Kraft (Vers 1-5).
Dies bedeutet jedoch nicht, dass er und die anderen Apostel keine Weisheit sprachen. Sie taten es, aber es war nicht die Weisheit dieser Welt oder der Herrscher dieser Welt (Verse 6 u. 8). Es war eine Weisheit die zur Sphäre des Geheimnisses gehört und deshalb nur in dieser Sphäre gesprochen werden kann (V. 7). Der Sprecher muss sich in dieser Sphäre des Geheimnisses bewegen, um diese neue Rede Gottes wiedergeben zu können, denn sie betrifft die Herrlichkeit, von der Gott vor aller Zeit beschlossen hat, dass sie seinem Volk geschenkt werden solle. Daher ist sie, soweit es diese gegenwärtige Weltzeit betrifft, eine verborgene Rede.
Dass diese Weisheit nicht von dieser Welt ist, erhellt sich aus der Tatsache, dass die Herrscher dieser Welt den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt haben (V. 8). Zudem heißt es in Jesaja 64:3: “Denn von Ewigkeit her hat man nie gehört, nie vernommen, hat kein Auge es gesehen, dass außer dir ein Gott tätig war für die, welche auf ihn harren.” Die Weisheit, die die Apostel sprechen, kann daher nicht von der Philosophie, der Erfahrung oder durch Spekulation erkannt werden (1Kor 2:8-9).
Hingegen offenbarte Gott den Aposteln diese verborgene Weisheit durch seinen Geist (V. 10). Dieser Geist ist das Prinzip allen Wissens von Gott innerhalb der Dreieinigkeit. Der Geist durchforscht alle Dinge, sogar die Tiefen Gottes. So wie nur der Geist des Menschen weiß, was im Menschen ist, so weiß nur der Geist Gottes, was in Gott ist (V. 11). Diesen Geist, nicht den Geist der Welt (cosmos), haben die Apostel empfangen; d.h. er wohnt in ihnen, erleuchtet sie und wirkt derart auf sie, dass sie ebenfalls die Subjekte der Erkenntnis dieser neuen Rede Gottes werden. Der Apostel schreibt, dass sie den Geist empfangen haben, damit sie die Dinge erkennen können, die der Kirche aus Gnade zuteil geworden sind (V. 12).
Daher ist in den Aposteln, in ihnen als Aposteln, der Geist das wahre subjektive Prinzip der Erkenntnis von Gott. Daraus folgt, so fährt der Apostel fort, dass sie nicht wie die Philosophen reden konnten. Diese versuchen nämlich eine Lösung für das Problem der Welt dadurch zu finden, dass sie auf das Acht geben, was sie sehen und hören, oder auf ihre Vorstellungen und Überlegungen schauen, die ihren Ursprung in ihren Herzen haben. Die Philosophen sprechen in verlockenden Worten (V.4). Die Apostel müssen dagegen in Worten sprechen, die der Geist lehrt (V. 13). Weil der Geist Gottes in Christus das subjektive Prinzip dieser göttlichen Weisheit ist, kann der natürliche Mensch sie nicht empfangen (V. 14). Für ihn sind die geistlichen Dinge Torheit.
Nur der geistliche Mensch kann die geistlichen Dinge unterscheiden, erkennen und beurteilen. Denn er hat den Geist Gottes, durch den er mit dem verborgenen Geheimnis Gottes, der neuen Rede, in Verbindung steht. Während der geistliche Mensch all diese Dinge erkennt, von ihnen spricht und sie bezeugt, ist er selbst für den natürlichen Menschen ein Geheimnis und wird von niemandem erkannt. Die Schlussfolgerung ist, dass nur derjenige, der den Sinn des Christus hat, die Gedanken des Herrn erkennen kann, und nur derjenige, der den Geist Christi hat, kann seine Gedanken erkennen (Vers 10-16).
Daraus folgt demnach, dass sich auch das subjektive Prinzip der Erkenntnis geändert hat. Christus hat den Geist empfangen und ist der belebende Geist geworden. Durch diesen Geist wohnt er in der Kirche und schenkt sich selbst mit seinem gesamten Erwerb von Licht und Leben, von Weisheit und Wissen an all jene, die sein Eigentum sind. In diesem Geist bezeugt er durch das Wort des Evangeliums die neue Rede von Gott unserem Erretter. Der Geist Christi ist also das eigentliche subjektive Prinzip des Wissens. Insofern die Kirche durch den Glauben im Geist mit Christus zum Mit-Arbeiter wird, ist dieser Glaube das Prinzip, durch welches die Kirche das Sprechen Gottes hört und wiedergibt.
1 Belgic Confession 14, in CC,3:398-99.
2 Canons of Dordt 3-4.4, in CC, 3:588.
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